«Ecuador ist ein sanftes Land, die Menschen sind gut. Es sind gläubige Menschen.»

Erzbischof Andrés Carrascosa Coso wurde 1955 in Cuenca, Spanien, geboren. Nach seinem Studium in Spanien und seiner Priesterweihe im Jahr 1980 erwarb er in Italien seine Diplomatenausbildung an der Päpstliche Diplomatenakademie (Pontificia Ecclesiastica Academia). Im Jahr 2004 wurde er zum Bischof geweiht und wurde Titular-Erzbischof von Elo. Er war Apostolischer Nuntius in der Demokratischen Republik Kongo, in Gabun und in Panama, bevor er 2017 zum Nuntius in Ecuador ernannt wurde.

Missio: Sie sprechen von Pathologien in der Kirche: An welchen Pathologien leidet die Kirche in Ecuador heute?

Nuntius Andrés: Die Kirche in Ecuador leidet unter den Pathologien, unter denen alle Ortskirchen auf der Welt leiden, die sich, wie der Papst sagt, vom Alltag treiben lassen, anstatt dem Evangelium zu folgen. Ich interessiere mich nicht so sehr für die Symptome dieser Pathologien, sondern für deren Wurzeln, nämlich den menschlichen Egoismus, der sich auf verschiedene Weise äussert: wenn wir zuerst an unsere Gemeinschaft denken, bevor wir an die einzelnen Menschen denken, mit denen wir zusammenleben; wenn wir an den Profit denken und nicht an die Menschen, die davon betroffen sind, oder wenn wir weltliche Sorgen haben, die nichts mit Frohbotschaft zu tun haben.

Missio: Was sind die Hauptprobleme und Stärken der Kirche in Ecuador?

Nuntius Andrés: Wir haben die gleichen Probleme wie in vielen anderen Teilen der Welt: Wir sind arm an Berufungen. In Ecuador, einem sehr religiösen Land, gibt es weniger als 2’000 Priester. Dabei haben die Menschen doch ein so grosses Bedürfnis an Diensten und Präsenz. Die Leute in Ecuador sind ein sehr anspruchsvolles Volk!

Eine Stärke? Sie wissen es vielleicht nicht: In diesem Land gibt es 50 Klausurklöster: 49 Frauenklöster und ein Trappistenkloster. Das sind Gemeinschaften mit sehr strengen Regeln und einem oft schwierigen Leben. Diese Gemeinschaften sind ein wahrer Schatz: diese Frauen und Männer, die im Gebet für uns, für die ganze Kirche leben. Wir schätzen sie nicht genug und schulden ihnen doch so viel Anerkennung.

Missio: Wenn Sie von diesem Land sprechen, funkeln in Ihren Augen eine grosse Begeisterung eine grosse Leidenschaft: Was können Sie uns zu Ihren persönlichen Erfahrungen sagen?

Nuntius Andrés: Ecuador ist ein sanftes Land, die Menschen sind gut. Es sind gläubige Menschen. Das hat sich zum Beispiel während des Besuchs von Papst Franziskus gezeigt. Ich glaube, dass ich wie die Leute in diesem Land lebe: mit Leidenschaft, mit Enthusiasmus, mit der Hingabe meiner selbst. In diesem Land muss man ein bisschen alles geben, was man ist und was man hat.

Missio: Wie ist die Beziehung der Nuntiatur zum Staat?

Nuntius Andrés: Das ist in jedem Land ein besonders komplexer Punkt. Im Moment ist der Dialog sehr gut. Es gibt Probleme, aber wir tendieren zur Offenheit; es gibt auch klare Signale, die darauf hindeuten, dass man die Probleme lösen möchte.

So hat der Staat beispielsweise während des letzten landesweiten Streiks sofort die katholische Kirche um Vermittlung gebeten. Zwei Jahre zuvor hatte die katholische Kirche ein ähnliches Problem tatsächlich gelöst. Diesmal dauerte es etwas länger, aber als die beteiligten Parteien sich geeinigt hatten, entstand Vertrauen.

Sie sagten uns: «Was ihr vorschlagt, ist die Lösung des Mittelwegs; es wird keine Sieger geben.» Sie arbeiteten eine ganze Nacht lang. Um vier Uhr morgens waren sie bereit, zu unterschreiben. Der von den Bischöfen vorgeschlagene Text wurde am nächsten Morgen unterzeichnet.

Die Kirche hat also einen grossen Dienst geleistet. Die beteiligten Parteien vertrauten einander und hörten einander zu. Auf dieser Grundlage setzten sie zehn Arbeitsgruppen ein, die innerhalb von 90 Tagen eine Vereinbarung mit 218 Punkten ausarbeiteten. Als Kirche haben wir nicht die Mittel, um die Umsetzung der Vereinbarung zu überprüfen, aber unsere Hilfe war sehr effektiv. Als Nuntius darf ich sagen, dass das Niveau des Zuhörens sehr gut war. Und wir sind immer da, um miteinander zu reden und Probleme zu diskutieren.

Missio: Für die indigene Bevölkerung und ihren Wunsch nach Integration ist die katholische Kirche also eine wichtige Stimme?

Nuntius Andrés: In Ecuador geht die katholische Kirche in allen Umfragen und Erhebungen klar als die Institution hervor, die in der Bevölkerung die grösste Glaubwürdigkeit geniesst. Bei anderen landesweiten Streiks hatte die Regierung die Vereinten Nationen als Vermittlerin vorgeschlagen, aber für die Indigenen bedeutete diese Institution nichts, während die Kirche bereits an ihrer Seite steht, die Priester und Ordensfrauen und -männer bei ihnen sind und Vertrauen herrscht. Die Regierung schlug also die Vereinten Nationen vor und die Indigenen verteidigten die Rolle der Kirche.

Und dieses Mal gelang es der Bischofskonferenz in einer Nacht, die Gespräche zum Endziel zu führen. Es herrscht Vertrauen, weil die Leute die Kirche bei der Arbeit sehen. Unter den Indigenen gibt es Menschen mit Doktortiteln, Universitätsabschlüssen und Magisterabschlüssen, die über Kompetenzen verfügen und in den Prozess eingebunden werden. Darüber hinaus gibt es viele, die dank der Unterstützung der Kirche studieren konnten, die im Ausland studieren konnten. Die Glaubwürdigkeit liegt auf der Seite der Kirche.

Missio: Im Zusammenhang mit dieser Frage der Glaubwürdigkeit stellt sich die Frage in Bezug auf den Drogenhandel in Ecuador: Was kann die katholische Kirche in diesem Bereich tun oder was hat sie bereits getan?

Nuntius Andrés: Es ist sehr schwierig, in dieser Problematik aktiv zu werden. Die Welt des Drogenhandels hält nichts von der Kirche und hört nicht auf sie. Drogen sind eine der Seuchen in diesem Land. Ecuador war früher reines Transitland für den Drogenhandel. Es ist jedoch zu einem Konsumland geworden. Und die kolumbianischen und mexikanischen Kartelle sind ins Land geströmt.

Die beiden Kartelle bekämpfen sich untereinander. Sobald die Polizei eine Drogenladung abfängt, muss derjenige oder diejenigen, die zu Verrätern geworden sind, sterben. Das ist ihre Logik. Im letzten Jahr wurden über 300 Tonnen beschlagnahmt, fast eine Tonne pro Tag. Doch diese Beschlagnahmungen führten zu schrecklichen Massakern, sowohl auf den Strassen als auch in den Gefängnissen, wo die Drogenhändler ebenfalls sehr gut organisiert sind.

Was können wir tun? Wir als Kirche haben ein Produkt, das bei denjenigen, die in der Welt des Drogenhandels leben, nicht gut ankommt. Aber wir dürfen das Niveau unseres «Produkts», nämlich das Leben entsprechend dem Evangelium, nicht verscherbeln. Gleichzeitig muss man aber auch sehen, dass diese Menschen oftmals trotzdem zu uns kommen. Sie suchen Zuflucht bei uns, um ein Wort des Trostes oder ein Gebet zu hören. Aber diese Frage bleibt schwierig. Wir können nicht viel mehr tun.